Zum Fall Marco Weiss gibt es viele Fragen.

Wir haben versucht in einer Art Frage und Antwort Spiel darauf einzugehen und hoffen so,

den interessierten Leser zu helfen.

 

 

Marco wurde wegen sexuellem Missbrauch verurteil, nicht aber wegen Vergewaltigung, was bedeutet das?

 

Das bedeutet vor allem, dass Marcos Aussage, dass alles im gegenseitigen Einvernehmen stattgefunden hat, richtig ist. Der Versuch der Anklage und der englischen Familie das Geschehene zu einer Vergewaltigung umzudeuten, ist vollständig gescheitert.

 

Bedeutet denn nicht auch sexueller Missbrauch, dass dem Mädchen Gewalt angetan wurde?

 

 Nein, das bedeutet es gerade nicht. Sexueller Missbrauch meint in diesem Fall „nur“ den verbotenen sexuellen Kontakt zwischen einer 13 Jährigen und einem 17 Jährigen.

 

Aber Marco hat doch zugegeben, dass es einen sexuellen Kontakt gegeben hat. Warum sollte er dann unschuldig sein?

 

Weil man, um überhaupt eine Straftat begehen zu können, mit voller Absicht (also unter Vorsatz) oder zumindest fahrlässig handeln muss. Charlotte hatte Marco aber erzählt, dass sie schon 15 sei und Marco hatte ihr geglaubt. Damit handelte Marco also nicht unter dem Vorsatz, einen sexuellen Kontakt mit einer 13 Jährigen haben zu möchten, er befand sich in einem sogenanntem nicht strafbaren Verbotsirrtum.

 

Aber hat Marco denn nicht zumindest Fahrlässig gehandelt, weil er Charlotte so einfach glaubte?

 

Marco war ja nicht der einzige, der nicht erkennen konnte, dass Charlotte erst 13 war. Die beiden lernten sich in einer Disco kennen, in die 13 Jährige keinen Zutritt haben, trotzdem wurde Charlotte von den Türstehern nie aufgehalten. Charlotte trug ein Hotelarmband, das sie als Jugendliche auswies und zum Trinken von Alkohol berechtigte. Marco schätze Charlotte beim ersten Kennenlernen für 16- 17 ein und war völlig überrascht, dass sie erst 15 seien sollte. Wie hätte er da auf die Idee kommen können, dass sie sogar erst 13 war? Da fehlte jeder Anfangsverdacht. Der erfahrene türkische Frauenarzt Levent Hakim hielt Charlotte ebenfalls zunächst für 17 und konnte gar nicht glauben, dass er noch ein Kind vor sich hatte. 

 

Das ist ja alles schön und richtig, aber es heißt doch immer „Unwissenheit schützt vor Strafe“ nicht.

 

Was ja dann extrem ungerecht wäre, oder? Daran sieht man aber auch wie vorsichtig man mit solchen Sätzen umgehen sollte. Der Satz bezieht sich auf die Kenntnisse von Gesetzen, weil der Gesetzgeber erwarten kann, dass der Bürger die Gesetze seines Landes auch kennt. Das gilt übrigens auch für Touristen. Sich nicht zu informieren ist eben sehr fahrlässig und das hatten wir weiter oben schon. Marco hätte sich also nicht damit herausreden können, dass er von den entsprechenden Schutzgesetzen für Kinder in der Türkei nichts gewusst hätte.

 

Und wie ist das jetzt mit der Revision?

 

Marcos türkische Anwälte, Herr Ersoy und Herr Iplikcioglu, hatten schon vor der Urteilsverkündung angekündigt keine Verurteilung hinzunehmen. Entsprecht wurde am Kassationshof in Ankara Revision eingelegt. Dieses Gericht ist aber völlig überlastet, da es für die ganze Türkei zuständig ist. Entsprechend können bis zu einer Entscheidung Jahre vergehen.  

 

Wie ist denn die Entscheidung der Staatsanwaltschaft in Lüneburg das Ermittlungsverfahren gegen Marco einzustellen zu bewerten?

 

Das eigenständige Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft in Lüneburg wurde schon 2007 eingeleitet. Zum einen ist Kindesmissbrauch natürlich auch in Deutschland strafbar und zum anderen wurden so die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, der Türkei die Möglichkeit zu geben, das Verfahren an Deutschland abzugehen. Leider hat das türkische Gericht dies abgelehnt. Allerdings wurde Lüneburg mit allen relevanten Prozessakten versorgt, so dass die Staatsanwaltschaft nach Beendigung der Beweisaufnahme über eine Kopie der vollständigen türkischen Prozessakte verfügte und eine eigenständige Bewertung vornehmen konnte. Diese sah dann so aus, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde, weil sich der Anfangsverdacht nicht bestätigt hätte. Damit ist Marco nach deutschem Recht unschuldig.

 

Und wie hat Lüneburg auf das türkische Urteil reagiert?

 

Die Staatsanwaltschaft in Lüneburg hat das Urteil scharf zurückgewiesen und eine erneute Aufnahme des Ermittlungsverfahrens abgelehnt. Das wäre nach Aussage der Staatsanwaltschaft auch der Fall gewesen, wenn Marco nicht nur wegen sexuellen Missbrauchs, sondern auch wegen Vergewaltigung verurteilt worden wäre, da die Staatsanwaltschaft den Fall nach beiden Gesichtspunkten ausgiebig überprüft hat.

 

Und was heißt das jetzt?

 

Das heißt zunächst einmal, dass sowohl die Staatsanwaltschaft in Lüneburg als auch das Gericht in Antalya bestätigt haben, dass es keine Vergewaltigung gegeben hat, was ein ganz wichtiger Punkt ist. Die Unterschiede betreffen allein die Bewertung des sexuellen Missbrauchs, was natürlich ärgerlich genug ist. Lüneburg hat unsere Einschätzung der Situation bestätigt, das türkische Gericht nicht. Sollte das Urteil je rechtskräftig werden, gilt es natürlich zunächst einmal nur in der Türkei. Das hätte für Marco aber erst dann eine praktische Bedeutung, wenn er während der Bewährungszeit sich noch einmal in der Türkei aufhalten sollte. Möchte das türkische Gericht z.B. eventuelle Bewährungsauflagen auch in Deutschland durchsetzen, müsste es sich mit einem entsprechenden Antrag an ein zuständiges Gericht in Deutschland wenden, also an Lüneburg. Aber auch diesbezüglich hat die Lüneburger Staatsanwaltschaft ihren Standpunkt bereits vorsorglich deutlich gemacht.

 

 

 

Aber in der Türkei gelten türkische Gesetze und bei uns deutsche Gesetze. Können denn nicht deshalb beide, Lüneburg und Antalya, recht haben?

 

Nein, da die diesbezüglichen Gesetze sich nicht groß unterschieden und Verurteilungen nur bei Vorsatz oder fahrlässigem Verhalten und die Bedeutung des nichtstrafbaren Verbotsirrtums für einen Rechtsstaat grundsätzliche Bedeutung haben.

 

Also liegt ein Justizirrtum, ein Fehlurteil vor?

 

So muss man das sehen.

 

Wie kommt das etwas merkwürdige Strafmass zustande?

 

Der türkische Staatsanwalt hat auf die mögliche Höchststrafe plädiert, also auf 8 Jahre, ohne diese Zahl allerdings wirklich zu nennen. Marcos Anwälte hatten einen Freispruch verlangt. Die Richter hatten es sich recht einfach gemacht und schlicht die Hälfte genommen. In der Türkei wird eine Strafe für Minderjährige allerdings generell um 1/3 gekürzt und die gute Führung von Marco während der U-Haft wurde auch strafmildernd gewürdigt. Die Strafe wurde dann insgesamt zur Bewährung ausgesetzt.

 

Und was ist mit der Zeit die Marco schon im Gefängnis verbracht hat? Wo wird die angerechnet?

 

Nicht wo, sondern wann. Die Zeit in der U-Haft würden dann angerechnet werden, wenn Marco die Haftstrafe tatsächlich antreten müsste. Das ist aber auch bei uns in Deutschland so geregelt.

 

Man hört immer, dass in Deutschland die Zeit in einem ausländischen Gefängnis höher angerechnet wird.

 

Ja, da der Aufenthalt in einem ausländischen Gefängnis deutlich belastender und oft auch härter ist, trägt man dem hier durch einen Multiplikationsfaktor Rechnung. Für die Türkei ist dieser Faktor mit 3 besonders hoch. Die 8 Monate in U-Haft entsprächen also 2 Jahre in einem deutschen Gefängnis.

 

Aber dann hätte Marco seine Strafe hier in Deutschland ja praktisch schon abgesessen?

 

Ja, das ist die bittere Ironie an diesem Urteil.

 

Warum hat Marco ein Buch über seinen Fall und seine Erlebnisse im Gefängnis geschrieben?

 

Die Idee mit dem Buch ist Marco schon im Gefängnis gekommen. Da ohnehin jeder wissen wollte, was denn genau damals in der verhängnisvollen Nacht abgelaufen war und wie es ihm im Gefängnis ergangen ist, bot es sich schon allein deshalb an, die gesamte Geschichte aus Sicht von Marco in einem Buch zu verarbeiten und nicht in vielen belastenden Interviews mit verschiedenen Zeitungen und Sendern. Schreiben ist zudem eine sehr wirksame Methode ein derartiges Erlebnis zu verarbeiten und Marco hat sein Buch auch als Dankeschön an die vielen Menschen verstanden, die ihm geholfen haben.

Aber das Buch hat zum Rücktritt von Marcos deutschen Anwälten geführt. War die Buchveröffentlichung zu diesem Zeitpunkt daher nicht ein Fehler?

 

Ein Fehler war es insofern, als die Rücktritte das eigentliche Ansinnen des Buches in den Hintergrund drängten und sich zu viele Menschen mehr mit dem Drumherum und zu wenig mit dem Inhalt und dem Anliegen des Buches beschäftigten. Es muss allerdings auch berücksichtigt werden, dass eigentlich auch die meisten Beobachter mit einem Ende des Prozesses noch im Jahre 2008 rechneten und dass es gar nicht so einfach ist, einen festgelegten Veröffentlichungstermin kurzfristig noch einmal auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Was Marcos ehemalige deutsche Anwälte Dr. Nagel und Herr Waldraff betrifft, so haben viele Menschen nicht verstanden, dass Marcos Verteidigung nicht in den Händen seiner deutschen, sondern einzig und allein in den Händen seiner beiden türkischen Anwälte Herr Iplikcioglu und insbesondere Herr Ahmet Ersoy lag und liegt. Die Bewertung der Buchveröffentlichung ist dann auch sehr unterschiedlich ausgefallen und bekannterweise sind die beiden türkischen Anwälte auch nicht zurückgetreten.    

 

Wie geht es Marco?

 

Marco geht es den Umständen entsprechend gut. Er ist weiter beim THW und versucht ansonsten das normale Leben eines jungen Mannes zu leben.